Ortsverein

Die Anfänge der SPD in Gellershagen und Sudbrack

"Hell aus dem dunklen Vergangnen, leuchtet die Zukunft hervor"

Werfen wir einen Blick zurück nach Gellershagen und Sudbrack im Jahre 1900. An der Jöllenbecker Straße stehen bereits einige Häuser, die das bebaute Stadtgebiet von Bielefeld über die alte Stadtgrenze weiter nach Norden verlängern. Die heutigen Seitenstraßen der Jöllenbecker Straße endeten jedoch im Nichts. Wer die gepflasterte Jöllenbecker Straße verließ, landete schnell auf morastigen Wegen. Beim Bielefelder Regenwetter waren Stiefel angesagt, wenn man dem Morast trotzen wollte. Selbst die Apfelstraße war nicht mehr als ein Feldweg. Sudbrack war noch überwiegend landwirtschaftlich geprägt. Doch die Mehrzahl der Menschen arbeitete in den Fabriken von Bielefeld. In der Nähe des Meierteichs gab es die Bleicherei und Leinenweberei Gunst & Co., die bis zu 150 Menschen Arbeit gab, aber schon 1926 geschlossen wurde. Nahe dem alten Meierhof an der Ecke Sudbrackstraße/Apfelstraße entstand 1904/05 die Dampfziegelei des Bauunternehmers Wilhelm Klarhorst

Zu dieser Zeit dominierten auch in Gellershagen noch Bauernhöfe. Erst um 1908 begann eine private Grundstücksgesellschaft damit, einen Teil des Landes zwischen Brodhagen, Schlosshofstraße und Voltmannstraße für die Bebauung zu parzellieren. Auf diesen Flächen entstanden Wohnungen, in die vor allem Arbeiter aus Bielefeld einzogen.

Bis 1919 dominierten in der Gemeindevertretung Gellershagen noch die meist konservativ gesinnten Landwirte. Trotz ihrer wachsenden zahlenmäßigen überlegenheit sollten die Arbeiter - die mehrheitlich SPD wählten – bis Ende des Kaiserreichs politisch noch in der Minderheit bleiben. Das Dreiklassenwahlrecht für die Gemeindevertretungen und das Preußische Abgeordnetenhaus war der entscheidende Grund, weshalb die SPD trotz Stimmenmehrheiten nur einen einzigen Abgeordneten in der Gemeindevertretung von Gellershagen entsenden konnte. Die vergleichsweise wenigen Wähler in der ersten und der zweiten Steuerklasse stellten zwei Drittel aller Gemeindevertreter. Sie waren mehrheitlich Landwirte, und der SPD keineswegs zugeneigt.

Dies änderte sich mit der Gründung der Weimarer Republik, die das Dreiklassenwahlrecht abschaffte und durch das gleiche Wahlrecht für Männer – und erstmals für Frauen – ersetzte. Gellershagen wurde zu einer SPD–Hochburg, und blieb es für heute. 1919 wurde erstmals ein Sozialdemokrat zum ehrenamtlichen Gemeindevorsteher von Gellershagen gewählt. Bis zur Eingemeindung im Jahre 1930 regierte die SPD in Gellershagen und Sudbrack mit absoluter Mehrheit. Gellershagen besaß keine Industrie, so daß die Gemeinde nur geringe Steuereinnahmen hatte. Dennoch konnte der Gemeinderat die Infrastruktur in Gellershagen bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft verbessern. Zu den größten Erfolgen gehörte der Bau des Freibades am Johannisbach, das in den neunziger Jahren wegen der kommunalen Finanzkrise in Bielefeld geschlossen wurde.

Mit dem Ende von Bismarcks Sozialistengesetz im Jahre 1890 endete die Verfolgung der Sozialdemokratie durch Polizei und Justiz. So war der Weg frei für die legale Gründung von Ortsvereinen der SPD. Bereits in diesem Jahr gründeten Schildescher Sozialdemokraten einen Ortsverein, der mit der Unterbrechung durch die Nazidiktatur bis heute ununterbrochen besteht.

In Gellershagen fanden sich 1903 Sozialdemokraten zusammen, um einen Ortsverein zu gründen. Ob der Ortsverein bereits 1903 oder erst 1906 aktiv wurde, muss offen bleiben: Die sozialdemokratische Tageszeitung "Volkswacht" berichtete erst ab 1906 von Parteiveranstaltungen in Gellershagen. Zu den Genossen der ersten Stunde gehörte der Redakteur Franz Dreckshage. Dreckshage war als Lokalredakteur der "Volkswacht" über alle politischen Ereignisse im Amt Schildesche – zu dem auch Gellershagen und udbrack gehörten – und im nördlichen Landkreis Bielefeld gut informiert. Er machte es sich zur Lebensaufgabe, Kultur und Bildung in die Kreise der sozialdemokratischen Arbeiterschaft zu tragen. Bei der Gründung des Volkshauses Sudbrack erwarb er sich ebenso Verdienste wie bei der Gründung der ersten gemeinnützigen Baugenossenschaft Sudbrack–Gellershagen. Ein alter Genosse und Mitbegründer des Ortsvereins Gellershagen-Sudbrack erinnerte sich 50 Jahre später – 1953 – an ihn: "Der Genosse Franz Dreckhage starb in den ersten Kriegsjahren (des 1. Weltkriegs) an einer heimtückischen Krankheit, ein Schlag für unsere örtliche Bewegung".

Die Versammlungen des Ortsvereins Gellershagen-Sudbrack fanden zunächst in der Gastwirtschaft Fohrmann (später Esser) in der Jöllenbecker Strasse statt. In der Zeit des Kaiserreichs blieben die Sozialdemokraten jedoch nicht unter sich. Der Gellershagener Genosse Hermann Tiemann eröffnete jede Versammlung mit der launigen Bemerkung, dass alle Genossen erschienen seien und auch der Herr Wachtmeister nicht fehlte. Bis zum Ende des Kaiserreichs erteilten die Polizeipräsidenten und Landräte der Polizei Anweisung, alle Versammlungen der als "vaterlandslose Gesellen" und "innere Reichsfeinde" verteufelten Sozialdemokraten zu überwachen und über vermeintlich "hetzerische" und subversive äußerungen zu berichten. Leider wissen wir nichts über den Verlauf der Mitgliederversammlungen, denn die Polizeiberichte wurden während des Zweiten Weltkrieges vernichtet.

Noch während des Kaiserreichs gelang es der örtlichen Arbeiterbewegung, die Gastwirtschaft Steinsiek an der Ecke Torfstichweg/Horstheider Weg zu kaufen. Aus der Gastwirtschaft wurde das Volkshauses Sudbrack, in dem nicht nur die Gellershagener und Sudbracker Sozialdemokraten ihre Veranstaltungen abhielten. Das Volkshaus entwickelte sich zu einem Zentrum der SPD, der Gewerkschaften und der Arbeitervereine in Gellershagen und Sudbrack. In dem immer wieder vergrößerten Saal, der fast 1000 Personen fassen konnte, fanden nicht nur Wahlkundgebungen statt. Es entwickelte sich dort ein reiches Kultur– und Vereinsleben der Arbeiterbewegung mit Bildungsabenden, kulturellen Veranstaltungen des "Arbeitergesangvereins Vorwärts" und Sportveran–staltungen des "Arbeiterradfahrvereins Transvaal" und der "Freien Turn- und Sportvereinigung Sudbrack". Die großen Sommerfeste der SPD waren aus Sudbrack nicht wegzudenken. Als sich der Genosse Emil Fillies zur 50–Jahr–Feier 1953 an diese Zeiten zurückerinnerte, schienen die goldenen Zeiten der Arbeiterkultur–vereine und Arbeitersportvereine wieder zurückgekehrt zu sein. Nach ihrem Verbot in der Zeit des Nationalsozialismus hatten sich die Vereine nach 1945 wiederbegründet. Sie erlebten Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre noch eine kurze Blütezeit, ehe sie allmählich einschliefen und ihre Mitglieder in die einstmals "bürgerlichen" Vereine eintraten.

Sozialdemokraten waren in der Zeit des Kaiserreiches legal, aber heftigen Anfeindungen als "vaterlandslose Gesellen" und "innere Reichsfeinde" ausgesetzt. In Gellershagen und Sudbrack konnten sich die Genossen der SPD schnell Ansehen unter den Arbeitern erwerben. Ob auch Genossinnen in der Gellershagener und Sudbracker SPD aktiv waren, ist ungewiss. Unser alter Genosse erinnerte sich 1953 im vorgerückten Alter von 77 nur an die sozialdemokratischen Genossen, die mit ihm in der Gemeindevertretung Gellershagen gesessen hatten.

Die Aktivitäten der ersten Sozialdemokraten in Gellershagen und Sudbrack blieben nicht auf die eigene Gemeinde beschränkt. Alle drei bis sechs Monate schwärmten 20 bis 25 aktive Mitglieder bis nach Jöllenbeck aus, um mit Flugblättern für die Sozialdemokratie zu werben. Alle übrigen Mittel der politischen Werbung fielen aus. In den konservativ dominierten Gemeinden Theesen, Horstheide und Jöllenbeck lehnten es alle Gastwirte ab, der SPD einen Saal für Wahlveranstaltungen zu vermieten. Das kirchlich geprägte Jöllenbeck war eine Hochburg der ebenso kaisertreuen, anti–sozialdemokratischen wie antisemitischen Christlich-Sozialen Partei, in der die Anhänger eines "sozialen Kaisertums" – oftmals Pastoren – eine bedeutende Rolle spielten. Damit kein Missverständnis entsteht: Die Christlich-Soziale Partei war keine Vorläuferin der CSU, die sich von den Christlich-Sozialen des Kaiserreichs erheblich unterschied.

Da sich die Aktivitäten der SPD in der Weimarer Republik nur mit sehr großem Zeitaufwand erforschen ließen, kann diese Zeit nicht näher dargestellt werden. Noch schwieriger wird es, etwas über die Gellershagener und Sudbracker Sozialdemokraten während der Zeit des Nationalsozialismus zu sagen. Nach der Machtergreifung der Nazis mussten die Sozialdemokraten alle ihre Protokollbücher und Mitgliedslisten vernichten, damit sie nicht der Gestapo in die Hände fielen. Wir wissen jedoch, dass sich einige Genossen als Wanderer getarnt im Köker Wald trafen, um über Politik zu reden und den Zusammenhalt nicht abreißen zu lassen.

Dr. Christopher Kopper
Mitglied des Ortsvereins

 

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